ZUM FOTO
Fabrikhallen auf überschwemmte Wiesen?
Herrieden am 31.12.2017 - Das Möbelwerk (weiße Hallen) will die Wiesen der rechten Bildhälfte bebauen. Der Wanderweg in der Bildmitte soll gesperrt, die Staatsstraße weiter in Richtung Wohngebiet verschoben werden.
Die Geschichte, die hier erzählt wird, spielt sich so ähnlich täglich in unserem Land ab. Das Beispiel stammt aus dem fränkischen Städtchen Herrieden an der Altmühl. 1937 beginnt dort ein junger Schreiner mit der Herstellung von Türen, Fenstern und Möbeln. Er arbeitet gut und so hat er bald mehrere Mitarbeiter. 1954 kann er sich ausdehnen. Er verlegt den Betrieb in die Nähe des Bahnhofs am Altstadtrand. 1966 übernimmt der Sohn und entwickelt eine neue Konzeption. 35 Mitarbeiter produzieren jetzt Anbauküchen. Das trifft ins Schwarze. Bis 1981 kommen weitere Produktionsbauten hinzu, die Einfriedung des Firmengeländes und eine Sicherheitsbeleuchtung. Die bebaute Betriebsfläche beträgt jetzt 1,6 ha und die Belegschaft ist auf 180 Personen angewachsen.
Bald behindert die Straße ins Nachbardorf das Wachstum. Im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens wird sie um 300 m nach außen verlegt. Zaghafte Klagen über den erforderlichen Umweg verstummen bald, denn man fährt ja jetzt fast immer mit dem Auto. Auch die Firmenleitung beruhigt: An der neuen Straße sei Schluss mit der Ausdehnung.
2003 übernimmt die dritte Generation. Jetzt entsteht eine professionelle Industriesilhouette mit Späneturm, Hochregallager und moderner Verwaltung. Ein Wunschtraum aller Kommunalpolitiker wird wahr. 2017 fertigen 1400 Mitarbeiter Küchenmöbel in Spitzenqualität zu sehr konkurrenzfähigen Preisen. Die Gewerbesteuereinnahmen steigen von Jahr zu Jahr, denn das familiengeführte Unternehmen hat auch seinen Hauptsitz in der Gemeinde. In jenem Jahr muss Konkurrent Alno Konkurs anmelden und wen wundert’s, dass der Fünftgrößte in der Branche das nutzen will um zum Dritt- oder gar Zweitgrössten zu werden. Da trifft es sich gut, dass zu diesem Zeitpunkt der Flächennutzungsplan zur Fortschreibung ansteht. Die Koalition im Stadtrat aus CSU und SPD lässt eine glatte Verdopplung der Betriebsfläche von 22 auf 45 ha in den Entwurf einzeichnen. Die Erweiterungsfläche ragt 1100 m in die freie Feldflur hinaus und betrifft tief liegende Altmühlwiesen, die regelmäßig überschwemmt werden. Einen Hauptwanderweg ins Altmühltal will die Koalition kurzerhand sperren und zur Betriebsfläche schlagen. Da regt sich dann doch etwas Unmut. Eine echte Bürgerdiskussion führen jedoch erst die Bewohner der kleinen Dörfer im Altmühltal herbei. Sie wissen, dass jede Auffüllung und Überbauung von Flächen Hochwasser verdrängt und das muss irgendwo hin. Eine Interessengemeinschaft gegen weitere Gewerbehallen in der Altmühlaue entsteht. Sie lehnt nicht nur ab, sondern macht einen alternativen Vorschlag. Das beantragte Werk II solle an der 5 km entfernten Autobahnausfahrt entstehen. Das Problem dabei: Die Autobahnausfahrt liegt haarscharf auf dem Gebiet der Nachbargemeinde. Schwere Geschütze fahren jetzt auf. Die Errichtung eines neuen Werkes „woanders“ koste Steuereinnahmen und es entstünde viel Verkehr zwischen den Werken. Man lasse sich nicht aus Herrieden vertreiben. Außerdem sei die jetzt beantragte Ausdehnung ohnehin die letzte.
Vielleicht wäre alles geräuschlos über die Bühne gegangen, wenn der Wettergott nicht zwei massive Hochwässer in kurzer Folge gesandt hätte. Drohnen stiegen auf und fotografierten die Seenlandschaft, in der bald neue Fabrikhallen stehen sollen. 14 Tage später drängten sich 300 Personen im größten Saal der Stadt und gründeten die Bürgeriniitiative HEIMAT HERRIEDEN. Besondere Empörung rief ein Ring neuer Straßen um die Wohngebiete hervor. „Ich bin hierher gezogen, um mit meinen Kindern zu Fuß schnell draußen in der Natur sein zu können!“ sagte eine junge Mutter. „Ich lasse mich nicht in ein Industrieghetto zwängen!“ Andere betonten, dass der Wachstumszwang des Gewerbes ihre Wohnqualität immer weiter verschlechtere. Am Ende des Abends zählte die neue Bürger Initiative 140 Mitglieder. So etwas hatte es in dem konservativen Herrieden noch nie gegeben. Kein Wunder, dass das bayerische Volksbegehren zur Begrenzung des Flächenverbrauchs hier auf fruchtbaren Boden fällt.
Was ist die Quintessenz aus alldem? Durchregieren geht nicht mehr. Traditionelle Parteisolidarität zerbricht bei direkter Betroffenheit. Der mündige Bürger ist da – auch auf dem Land.